Warum ich zeichne und male:
Ich habe immer schon gezeichnet. Meine ersten bewussten Erinnerungen, ich war drei oder vier Jahre alt, bestehen nur aus farbintensiven, bewegten und stummen Bildern.
Eines dieser Bilder zeigt mir kleine Töpfe mit Fingerfarben auf dem Fußboden des Kindergartens, ein mir riesenhaft erscheinendes weißes Packpapier und meine Finger, die in die Farben greifen, verbunden mit einem intensiven Lustgefühl, das ich jedes Mal neu empfinde, wenn ich das Bild in meinem Kopf wachrufe.
In den Veden ist der Ursprung allen Seins – das Wollen oder auch das Verlangen.
Am Anfang war das Eine – nicht Gott als bildlich vorstellbare Person – sondern ein Etwas – eine abstrakte Größe, jenseits aller Vorstellungen, jenseits von Gut und Böse, jenseits von Mann und Frau, richtig und falsch, jenseits davon, Sinn zu machen oder sinnlos zu sein, weder wissend noch unwissend – bevor all diese Dinge werden konnten, war das Wollen oder auch das Verlangen.
Für mich macht diese Idee mehr Sinn als der Gedanke vom Logos – sprich: am Anfang war das Wort.
Das Wollen oder auch das Verlangen ist der Grundstoff jeder künstlerischen Bemühung, unabhängig vom jeweiligen Ergebnis.
Du hast den Wunsch etwas zu denken, zu machen, zu bilden oder zu formen – oder du hast ihn nicht.
Hast du den Wunsch oder das Wollen – so unterliegst du einem inneren Zwang:
Je mehr du dich gegen dein eigenes Wollen auflehnst, desto mehr von deiner Lebenskraft verlierst du, bis von dir nur noch eine leere Hülle bleibt.
Innerlich hohl bist du tot - doch niemand bemerkt es.
Denn tot ist der oder die, der oder die nicht das tut wofür er oder sie begabt ist und was ihm oder ihr deshalb Freude macht.
Die meisten Menschen sind in diesem Sinne gestorben und tun das wovon die anderen denken, dass es ihnen Freude machen sollte, damit sie als Teil des Ganzen (der Gesellschaft) funktionieren.
Sie können aber wieder zum Leben erwachen.
Manchmal gelingt es nicht im Sinne der Gemeinschaft als Ganzes ein nützliches Mitglied der Gesellschaft zu werden - gerade weil man sich so krampfhaft darum bemüht, dem allgemeinen Ideal zu entsprechen.
Ein solches Scheitern kann eine neue Chance bedeuten.
Vielleicht war es dir bestimmt zu scheitern, um den Weg an der Stelle fortzusetzen, wo du aus Feigheit stehengeblieben bist, um dann einen anderen Weg zu gehen. Ein Weg der dir zunächst weniger steinig, sicherer erschienen war, von dem du geglaubt hattest, er würde dich schneller ein anderes, dafür aber einfacher erreichbares Ziel erreichen lassen
Aber wie fing alles an?
Der Eintritt in die Schule war gleich einmal die erste große Zäsur in meinem Leben, und hat meinen Wunsch zu zeichnen und zu malen und nur das zu tun und nichts sonst losgetreten, woraus sich notwendigerweise viel später der Wunsch entwickeln musste, sogenannte freischaffende Künstlerin werden – und von der eigenen künstlerischen Produktion leben zu wollen, um immer Zeit zum Malen und zum Zeichnen zu haben.
Als ich mit der Pflichtschule anfing, kam ich aus irgendeinem Grund nicht mit den anderen Kindern aus meiner Kindergartengruppe mit denen ich ganz gut gekonnt hatte in dieselbe Klasse, sondern in eine Parallelklasse, in der sich so gut wie alle Kinder bereits kannten. Ich kannte niemanden.
Diese Kinder hatten zuvor offenbar alle (?) denselben - anscheinend teuren (? - Ich suche nach den Ursachen…) - Privatkindergarten besucht und waren nun – mit Eintritt in die Volksschule – alle in demselben – ebenfalls privaten – Hort angemeldet.
Eine Handvoll anderer Kinder wie mich gab es noch, die auch von Anfang an nicht zu diesem Kreis dazugehörten.
Deren Eltern gelang es aber binnen Tagen tatsächlich, ihren Kindern die Rettung (sprich: einen Klassenwechsel) zu ermöglichen.
Eine Familie zog tatsächlich um, um der Tochter den Schulwechsel zu ermöglichen.**
Da stand ich nun also einem geschlossenem Klassenverband gegenüber – ich wähle bewusst einen militärisch anmutenden Ausdruck – dessen einstmmige Ablehnung ich bald mit voller Wucht kennenlernen sollte.
Alles was ich damals wollte, war, dass mich all die "normalen" Kinder in der neuen Klasse mögen sollten. Es war ein vollkommen einseitiger ( - denn ich empfand keinen) Hass auf den ersten Blick.
Es gibt da einen alten Film – ich erinnere mich nicht mehr an den Titel – da werden Männer in einem amerikanischen Gefängnis von ihrem Direktor und dessen Wärtern systematisch fertiggemacht, gemobbt und zur Verzweiflung getrieben. Erst als sie in irgendeiner dunklen Ecke des Gefängnisses ein altes Schrottauto entdecken, bekommen sie wieder einen Lebenswillen.
Liebevoll machen sie das Fahrzeug wieder verkehrstüchtig – am Ende sind ihre Bemühungen natürlich sinnlos – denn im Gefängnis werden sie nie die Möglichkeit haben, den Oldtimer tatsächlich in Betrieb zu setzen, geschweige denn damit zu fahren.
Dennoch können sie nur durch diese Arbeit psychisch überleben.
Der Gefängnisdirektor beobachtet ihre Anstrengungen heimlich.
Als das Auto ein wahres Schmuckstück geworden ist, lässt er das Fahrzeug von seinen Handlangern systematisch zerstören bis es nicht mehr zu retten ist und endgültig stirbt.
Ich bin mir nicht ganz sicher, ob ich mich richtig erinnere, aber ich glaube Sylvester Stallone spielte in diesem Film jenen Gefangenen, der auf die Idee kommt, das Auto wieder herzurichten, und Donald Sutherland spielte den Gefängnisdirektor – für diesen Text spielt das keine Rolle.
Mir geht es nur um die Geschichte und ihre Aussage:
Ersetze das Gefängnis durch die Volksschule, die ich vier Jahre lang besucht habe, ersetze das Restaurieren eines alten Wagens durch meine ersten zaghaften Bemühungen im Zeichnen und Malen richtig gut zu werden, stelle dir als Handlanger des Gefängnisdirektors meine Mitschüler/innen vor.
Wer ist der Gefängnisdirektor?
Mein erster Schultag:
ich komme in die Klasse, die meisten anderen Kinder sind schon da, sitzen auf ihren Plätzen, alle starren mich an.
Ich grüße, keine/r grüßt zurück. Geschlossenes Schweigen blickt mir entgegen.
Ich setze mich auf den einzigen noch freien Sitzplatz, ein blondes, körperlich ungewöhnlich kräftiges Mädchen, gefühlte dreißig Zentimeter größer als ich (und die meisten anderen Kinder in der Klasse) verbietet mir diesen Sitzplatz einzunehmen.
Sie sagt, sie hätten in der Klasse kollektiv beschlossen, dass ich nicht auf einem Sessel sitzen dürfe, ich müsse am Boden sitzen, denn ich gehörte nicht hierher und hätte daher kein Recht auf einen Sitzplatz.
Sie wäre Sprecherin der ganzen Klasse. Im Übrigen hätte ich auch nicht das Recht mit den anderen Kindern zu sprechen.
Ein guter Anfang.
... und es geht weiter
(Erstveröffentlichung 2015 auf - mystikimalltag.info * komplett überarbeitete Neuveröffentlichung - ebenda - 2018)
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Zitate und Quellen:
* Platon (Nomoi X, 903 b-c, übersetzt von Franz Susemihl)
gefunden (Einleitung) im Buch "Der holistische Mensch" von Johannes Huber, edition a - Wien, 2017, ISBN 978 - 3- 99001 - 230 - 7
** zum besseren Verständnis: ich kenne die aktuelle Gesetzteslage nicht, aber 1982 galt in Österreich die strenge gesetzliche Regelung, dass Eltern ihre sechsjährigen Kinder in die geographisch jeweils nächstgelegene Volksschule schicken mussten.
Ein Schulwechsel war deshalb für Grundschüler generell nur schwer zu bewerkstelligen