Mystik im Alltag

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  • "[…], sodass jeder Teil wirkt und leidet, wie es ihm eben hiernach zukommt und soweit eben hiernach sein Vermögen reicht.[…]" *
    (Platon · Nomoi X, 903 b-c)
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Unterwegs


erster Chorus

"[…] And hoping it will end this wandering […]" **


Frühe Achtzigerjahre. Beton. Dunkelrote unverputzte Ziegelmauern.

Am Boden liegen ein großer Holzbalken und Bühnenaufbauten: eine schwarze Plattform auf mattsilbernen Fachwerkträgern, Lautsprecher, verschiedenste Geräte. Ich turne auf dem Holz herum als wäre es ein Schwebebalken, den sie extra für mich da hingelegt haben. Im Gebäudetrakt hinter mir wird gekocht. Es ist Mittag.
Die Arena in Wien.

Ich bin im Augenblick das einzige Kind hier, vielleicht acht oder neun Jahre alt. Mir gefällt der Ort.

Mein Vater – schon Mitte dreißig - kocht in letzter Zeit regelmäßig für die Leute hier. Er macht das völlig freiwillig und umsonst. Im wirklichen Leben ist er Lehrer.

Mir kommt es so vor, als ob mein Vater zu den Arena- Leuten passt wie ein paar alte Birkenstockschlapfen zu Ozzy Osborne.




"[…] Anyone can see when you need a friend […]" **


zweiter Chorus

Mein Vater und ein junger Mann, der ständig hier arbeitet, kommen aus dem Nebengebäude hinter mir – dort wo immer gekocht wird.
Die beiden unterhalten sich miteinander.

Mein Vater und der junge Mann stehen relativ weit weg. Daher höre ich nicht alles was sie reden.
Der junge Mann spricht sehr laut und deutlich, sodass ich trotz der Entfernung fast jedes Wort höre, das er sagt.

Mein Vater spricht im Gegensatz dazu sehr leise - sodass ich von ihm nur einzelne Satzfragmente wahrnehme –
meistens nur unverständliches Gemurmel, Brummen und Grollen.
Während sie so reden, turne ich weiter an dem Balken herum, als würde ich sie gar nicht bemerken.

Der junge Mann:
"Ist das deine Tochter?"
Mein Vater murmelt eine kurze Antwort.

"Aber des is doch a liabs Kind." (Pause) "Ist das die Tochter von deiner Lebensgefährtin?"
"murmel, murmel, brumm."

"Ich versteh´ nicht was du hast. Des Kind ist doch ganz normal."
"murmel, murmel … nicht normal … murmel, murmel … nicht normal … brumm."

"Wieso, was hots denn?"
"murmel, murmel … normale Kinder in dem Alter … murmel, murmel … blond … murmel … rundlich … murmel …
schwarze Haare … murmel … mager … murmel, murmel ..."

"Aber es is doch nicht abnormal, wenn a Kind dunkle Haare hat und dünn ist. Hauptsache das Kind is g´sund und g´scheit…"
"murmel … im Süden … murmel … nicht … murmel … in Italien … murmel ... in Österreich … murmel … andere Kinder in dem Alter … murmel …
kein Kind in meiner Familie … murmel … Vorfahren … murmel … blond! … murmel … wenigstens hellbraun … murmel …
(dann laut, wehklagend:)
Sie sieht genauso aus wie ihre Großmutter! Die Mutter meiner Lebensgefährtin!"

"Ah!" – ruft der junge Mann aus, "Jetzt versteh´ ich dich endlich! Du magst Dein Kind nicht, weil Du glaubst es is nicht von dir!"
(ärgerliches, wütendes Brummen)
"… wohl von mir! … brumm, brumm, brumm! … weiß das mit Sicherheit! ... brumm, brumm, brumm! …

Ich habe meine Lebensgefährtin immer genau beobachtet!
brumm! … Es gab keine anderen! … brumm! … "

"Warum hat des Madl dann dunkle Haare?"
"weil meine Lebensgefährtin dunkle Haare hat! … murmel … (ein wenig leiser) Aber nicht so dunkel … murmel …
Die Großmutter hat solche schwarzen Haare gehabt!

murmel, murmel … die Mutter meiner Lebensgefährtin … murmel, murmel, murmel …
wenn ich gewusst hätte, dass das eine Generation überspringt! ...
murmel, murmel ... dass sie schwanger wird! ... murmel, murmel … in ihrem Alter! … murmel, murmel … noch Student … murmel, murmel …
nicht damit gerechnet. … murmel …
wollte kein Kind! … murmel …
nicht von ihr! … murmel, murmel ..."

(Es folgt ein kurzer Monolog meines Vaters, von dem ich kein Wort mehr deutlich verstehe.)

Dann der junge Mann:
"Sag amal! Bist du eigentlich a Nazi?"
"brumm? … Wieso? … brumm? … ich?! … murmel … doch kein Nazi! … murmel"
(leichtes Grollen)

"Ich mein ja nur..." (Pause) – zählt auf:
"... weil´st nur a blond´s Kind haben willst, weil´st deshalb ka Kind von deiner Lebensgefährtin haben wolltest,
weil´ s dunkle Haar hat und älter is, weil´st…"

(und so weiter, und so weiter)

Mein Vater (nun sehr aufgebracht, auch gekränkt):
" … Ich?! … brumm! … doch kein Nazi! … brumm! … wieso Nazi? … brumm! … bin doch in der Partei! (meint SPÖ…)
… brumm! … immer schon gewesen! … brumm … seit ´68! (meint 1968)
… brumm! … JUSOS! … brumm ...
groll!"

Der junge Mann (nach einer kurzen Pause):

"Des haast nix!"
(etwas längere Pause)

"Da san vü Nazi in dera Partei"

Auch der folgende Teil des Gesprächs hat sich noch deutlich in meinem Gedächtnis festgeschrieben:

Junger Mann:
"Sag! Wenn´st z´erst gar nicht auf Dauer mit deiner Lebensgefährtin z´sammen bleiben wolltest und überhaupt ka Kind von ihr wolln hast, warum hast dann a Kind mit ihr bekommen und warum bleibst dann z´sammen mit ihr?"

"brumm, brumm."

"Hat´ s dich erpresst oder wos?"
"murmel … nein! … murmel…"

"Was zahlst denn so an Unterhalt?"
"murmel … nein … murmel, murmel … kein Unterhalt … murmel, murmel … aber … murmel, murmel, murmel …
Pflicht! … murmel, murmel … Vater! … murmel, murmel, brumm."

(Pause)

"Wennst das Kind net mogst und deine Lebensgefährtin a net;
wenn deine Lebensgefährtin eh´ kan Unterhalt wüh, weil´s selber aa a Geld verdient,
warum verlasst des dann net?

"brumm, brumm, brumm, brumm."

"So wie du des mochst" (Pause) – (dann entschieden:) "so mocht des kana."

(Pause)

"Entweder du mogst die Frau und des Kind und bleibst deshalb bei eana.

Oder du mogst es net! - Dann lass die zwa in Rua!

Is bessa für olle Beteiligten."




"[…] You know the chance won´t come again […]" **


dritter Chorus

In der Volksschule durfte ich nicht sprechen.

Ich durfte keinen meiner Mitschüler, keine meiner Mitschülerinnen ansprechen, durfte aber auch nicht antworten, wenn ich angesprochen wurde. Es sei denn, es wurde mir ausdrücklich erlaubt. Das hatten die tonangebenden Kinder in der Klasse so beschlossen.

Ich wollte nicht von den tonangebenden Kindern gehasst werden und wünschte mir Freunde. Dadurch war ich unfähig mich zu wehren. Diese vier Jahre fühlten sich so an, als wäre ich das einzige und unfreiwillige Mitglied eines extremen mittelalterlichen Barfüßer- und Büßerordens. Oder als würde ich alleine auf der anderen Seite des Mondes leben.

In den ersten zwei Jahren habe ich ständig geweint.
Was mich zum Weinen brachte, war aber nicht das Sprechverbot, waren auch nicht die Hänseleien bis hin zu Drohungen, sondern es war der Hass, der mich fertigmachte.

Ich dachte, da bin ich als Einzelne auf der einen Seite, die anderen als Gruppe auf der anderen Seite. Wenn sie als Gruppe gegen mich einig waren
- so empfand ich es in den ersten Jahren - dann mussten sie normal sein und ich nicht.
Sie hätten mich demnach gehasst, weil etwas an mir nicht normal gewesen wäre und deshalb ihren Hass ausgelöst hätte.
Was mich zum Weinen brachte, war, dass ich sie nicht fragen durfte, warum sie alles taten, um mich zum Weinen zu bringen – sodass ich nicht herausfinden konnte, was mit mir nicht stimmte.

Ich dachte, wenn sie mir sagen würden, was es war, was mich für sie hassenswert machte, dann bräuchte ich diese Eigenschaft an mir ja nur zu ändern und alles würde gut werden.

Dann passierte etwas Entscheidendes.



"[...] You know the chance won´t come again
Anyone can see when you need a friend. […]" **


vierter Chorus

Volksschule. Frühe Achtzigerjahre.

Ein Junge aus dem tonangebenden Kreis. Rothaarig. Er spricht mich in der Pause an,
sagt:

"Weißt du warum du mit keinem reden darfst? Weißt du warum wir das alles mit dir machen?"

Ich darf nicht antworten. Ich höre zu.

"Du hättest nie geboren werden dürfen!"

(Pause)

"Du hast nicht das Recht zu leben!"

(Pause)

"Auch deine Mutter hätte nie geboren werden dürfen!"

(Pause) Er wartet...

Dann:
"Alle hassen sie, keiner kann sie leiden!

Weil alle deine Mutter hassen, kann dich auch keiner leiden - weil du ihre Tochter bist! Auch die Großen können dich deshalb nicht leiden! Auch deine Oma – die Mutter von deiner Mutter - hätte auch nie geboren werden dürfen! - Ihr hättet alle drei nie leben dürfen!"

Er wartet. Schaut...


Er tritt ganz nahe an mich heran, sieht mir direkt in die Augen und sagt:

"Dein Vater will dich nicht!"

Ich bemühe mich, meine Augen zu Spiegeln werden zu lassen, damit sie ihm nichts sagen, damit er meine Gedanken und Gefühle nicht sehen kann.

Er sagt:
"Dein Vater kennt unsere Eltern. Dein Vater redet immer mit unseren Eltern über euch, über dich und deine Mutter."

Er sagt:
"Deine Mutter hätte dich wegmachen sollen!"
"Du kannst froh sein, dass dein Vater überhaupt erlaubt hat, dass deine Mutter dich bekommen durfte. Das hätte er gar nicht erlauben müssen."
Er sagt:
"Dein Vater hasst dich!"

(Er wartet...)

Schließlich sagt er:

"Deshalb dürfen wir alles mit dir machen!"


"Und unsere Eltern und die Frau Lehrerin helfen dir nicht, weil sie wissen, dein Vater hasst dich. Sie finden auch, du hättest nicht geboren werden dürfen!"


Finale:

"Und deshalb machen wir das alles mit dir, weil nur mit dir dürfen wir alles machen!"
"Weil das dürfen wir! Sonst dürfen wir nie etwas."
"Mit jedem anderen dürfen wir das nicht."


In diesem Moment passiert das Entscheidende:

Ich denke:

`Das bin ja gar nicht ich, mit der etwas nicht stimmt.´
`Es sind ja die anderen mit denen etwas nicht stimmt!´


Und nun weine ich nicht mehr.




Der Junge läuft zu den anderen Kindern und schreit:

"Die heult gar nicht!"

Die anderen:

" Was! Die heult nicht?"

"Seit wann heult die nicht mehr?"

"Die kapiert das nicht!"

"Die kapiert das gar nicht, was du zu ihr gesagt hast."

"Warum kapiert die das nicht, was du zu ihr gesagt hast?!"

"Die ist deppert!"


(zweifellos ...)

"Die ist behindert!"

"Die Melanie hat eine lange Leitung, die Melanie hat eine lange Leitung, die Melanie hat eine lange Leitung! Die Melanie hat eine lange Leitung!"
– Endlosschleife.


Mantra:

Wer nicht sprechen darf, wird nicht mehr wahrgenommen.

Wer nicht mehr wahrgenommen wird, existiert nicht
(für die anderen)

Wer nicht existiert, in dessen Gegenwart wird alles ausgesprochen.
(von den anderen)

Wer nicht existiert, lernt zuzuhören
(weil ihm sonst nichts anderes bleibt)



  • "[…] But you can´t go back
    You can´t go back […]
    And pray that people change" **




fünfter Chorus

Es ist diesselbe Woche in der das Entscheidende passiert ist.

Mein Vater und ich sitzen alleine im Zimmer am Tisch. Das Zimmer erscheint in meiner Erinnerung dunkel.
Mein Vater muss mir etwas sehr Wichtiges erklären, und ich müsse es verstehen - denn das sei wichtig für mein ganzes zukünftiges Leben.

Mein Vater:
"Du hättest nie geboren werden dürfen."

(Pause. Will offenbar versuchen, mir einen komplizierten Gedankengang zu erklären…)

Während ich gleichzeitig denke:
"Es stimmt also! Es ist alles wahr!"

Ich fasse mich, atme tief durch und sage:
"Also hasst du mich."

"Nein! Nein! Wieso ? So meine ich das nicht. Ich meine nur, du hättest nicht von dieser Mutter geboren werden dürfen."

Ich antworte:
"Das bedeutet doch dasselbe. Wenn mich meine Mama nicht auf die Welt gebracht hätte, wäre ich jetzt nicht hier. Dann würde es mich nicht geben. Du wünschst dir, dass meine Mama mich nicht geboren hätte. Also wünscht du dir, es würde mich nicht geben."

Er sagt:
"Nein! Du verstehst mich nicht! So meine ich das nicht!" (Atempause) "Du hättest nur nicht von dieser, sondern von einer anderen Mutter geboren werden müssen, mit mir als Vater – dann wärest du ja auch hier.
Du wärst derselbe Mensch – nur mit einer anderen Mutter."


Ich antworte:
"Wenn ich eine andere Mutter hätte, dann wäre ich nicht ich."
"Das wäre dann ein anderer Mensch."

mein Vater:
"Nein! Wieso denn? Du hättest doch weiterhin mich als Vater, also wärest du derselbe Mensch."

"Aber jedes Kind ist doch zur Hälfte das Kind von seinem Papa und das Kind von seiner Mama – und wenn ich eine andere Mama hätte, wäre die Hälfte von mir anders als jetzt. Das wäre nicht ich. Das Kind, das dann da wäre, wäre jemand anderes."

(Pause)
Ich sage mit Nachdruck:
"Dann wäre ich nicht ich."

Mein Vater mit schwacher Stimme:
"Doch natürlich – wieso denn nicht?"

Ich sage:
"Wenn ich das Kind von dir und einer anderen Frau wäre, würde ich anders aussehen. Ich würde anders denken. Ich würde andere Dinge mögen, andere Dinge gut können als jetzt. Ich wäre nicht ich."

Ich war damals ungefähr acht Jahre alt. Das ist lange her. Ich erinnere mich daher nicht mehr an das ganze Gespräch.

Das Folgende habe ich aber noch behalten:
Mein Vater über meine Mutter:
"Nie hätte ich gedacht, dass sie mit vierzig Jahren noch schwanger werden würde. Und als sie mir dann sagte, sie wäre schwanger, dachte ich, sie würde dich abtreiben. Aber nein!
Ich hatte Albträume! Jede Nacht in der sie schwanger war. Jedes Mal sah ich im Traum, wie sie ein behindertes Kind, oft ein regelrechtes Monster zur Welt brachte! Fast ein ganzes Jahr lang – neun Monate lang – ständig diese Albträume! Und jede Nacht war etwas anderes mit dem Kind. Weil sie doch schon vierzig Jahre alt war … "


Ich unterbreche seinen Wortschwall:
"Aber ich bin nicht behindert!"

"Nein, aber du hättest es werden können! Ich hätte eigentlich erwartet, dass deine Mutter dich abtreiben lassen würde…"

Ich unterbreche ihn wieder und stelle meinem Vater ruhig und langsam die Frage:
"Du wolltest also, dass ich abgetrieben werde?"

Mein Vater:
"Nein! Doch nicht du persönlich, so meine ich das nicht! Das wärest ja noch nicht du gewesen! - Aber du hättest nicht diese Mutter haben dürfen."

"Aber das bedeutet doch dasselbe."

Er antwortet:
"Nein! So meine ich das doch nicht! Du verstehst mich einfach nicht.
Ich meine doch nur, du musst weg von deiner Mutter!"





"[…] You´re a lot like me when you pretend [...]" **





sechster Chorus

Später erzähle ich meiner Mutter, was mein Vater zu mir gesagt hat.
Unter der Woche ist er nie bei uns, sondern lebt in Wien.

Ich erzähle ihr, was mir der rothaarige Junge erzählt hat und dass ich mich frage, ob es da keinen Zusammenhang gebe.

Meine Mutter versucht mir die Idee, die da langsam in meinem Kopf Form annimmt - und die sie ahnt - auszureden.
Sie erzählt mir, dass mein Vater zuerst wirklich keine Kinder hätte haben wollen.
Als ich aber dann auf die Welt gekommen sei und er mich als Baby gesehen hätte, wäre er überglücklich gewesen und hätte mich gleich in sein Herz geschlossen.

Was mich nicht überzeugt.

Sie sei so froh gewesen, als sie meinen Vater kennengelernt hat. Ohne ihn hätte sie mich nicht bekommen können, und sie sei ja schon vierzig Jahre alt gewesen. Ohne ihn würde es mich nicht geben. Dafür müssten wir dankbar sein. Stell´ dir vor, es würde dich nicht geben. Das wäre doch schrecklich.

Und ich dachte bei mir, dass ich ja nicht darum gebeten hätte auf die Welt zu kommen.
Die Welt würde sich ebenso drehen, wenn ich nicht da wäre. Und wäre ich nicht da, würde ich jetzt nicht leiden.

Das denke ich – damals – in diesem spezifischen Moment - mit acht Jahren.
Ich möchte es aber nicht so direkt aussprechen – um meine Mutter nicht zu beunruhigen.
Ich bin mir vollkommen bewusst, dass es nicht normal ist, in meinem Alter so zu denken.

Meine Mutter meint, es wäre doch gut für mich, dass ich noch so einen jungen Vater hätte.
Denn wenn ich zu studieren beginnen würde, würde sie schon beinahe sechzig Jahre alt sein – und wenn sie irgendwann einmal nicht mehr da wäre, so wäre dann immer noch mein Papa für mich da und würde bestimmt für mich sorgen.

Da frage ich sie aber nun doch, ob sie das wirklich glaube, dass er im Ernstfall für mich sorgen würde - und weise sie darauf hin, dass mein Vater sich gewünscht hätte, sie hätte mich abgetrieben.

Und sie verneint beharrlich – das sei doch gar nicht wahr, das könne mein Vater doch gar nicht so gemeint haben.
Er hätte nie gewollt, dass sie abtreibe.
Und ich meine, was wäre wenn ich nicht studierte – wenn ich nach der Volksschule eine Ausbildung machen würde, die nicht so lange dauern würde. Nicht so viele Jahre.
Und meine Mutter meint, ich wäre viel zu gescheit und begabt, um nicht zu studieren. Ich wäre geistig viel reifer als andere Kinder in meinem Alter. Ich wäre jetzt schon – mit acht Jahren - fast wie ein Erwachsener. Daher müsse ich später unbedingt studieren.
Und mein Vater werde für mich da sein, wenn ich ihn wirklich einmal brauchen sollte.

Und ich glaube ihr nicht.

Und eine tiefe Lebensangst beginnt von mir Besitz zu ergreifen.



[…] "Es ist erwiesen", […], "daß die Dinge nicht anders sein können, als sie sind, denn da alles zu einem bestimmten Zweck erschaffen worden ist,
muß es notwendigerweise zum besten dienen. […]" ***

(Pangloß – in "Candide – oder der Optimismus")




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Zitate und Quellen:

* Platon · Nomoi X, 903 b-c; gefunden in: Johannes Huber "Der holistische Mensch" (Einleitung), Verlag edition a, Wien 2017, ISBN: 978 3 99001 230 7.

** Fragmente des Songs "Can´t Go Back" von Tanita Tikaram; entnommen aus dem booklet der CD · Tanita Tikaram "Can´t Go Back", Edel Germany GmbH · earMUSIC, 2012, ISBN: 4 029759 079606.

*** Voltaire "Candide", Büchergilde Gutenberg, Frankfurt am Main · Wien · Zürich 1964, Lizenzausgabe der Dieterich´schen Verlagsbuchhandlung Leipzig (Übersetzung: Ilse Lehmann), Seite 20;
alte Rechtschreibung aus dem Original übernommen.


Der Titel - "Unterwegs" - des vorliegenden Essays ist inspiriert vom gleichnamigen Roman Jack Kerouacs - hat aber inhaltlich keine Bezüge zu dessen Buch.
Kerouac baut seinen Roman nicht in Kapiteln auf - sondern nennt jeden Abschnitt einen "Chorus" - wodurch der Eindruck entsteht, der Roman - obwohl in Prosa geschrieben - sei ein Gesang.
So wird außerdem eine Philosophie deutlich, die das Leben als ein Rad betrachtet. Jeder Anfang ist ein Ende - jedes Ende ist ein Anfang.
Jack Kerouac "Unterwegs"; z.B. in der folgenden Ausgabe: Rowohlt Taschenbuch Verlag GmbH, 1984; Copyright Rowohlt Verlag 1959 · weitere deutschsprachige Veröffentlichung 1968 · 680-ISBN 3 499 11035 0;

Originalveröffentlichung: "On The Road" · Viking Press, Inc., New York · 1955, 1957.



Die Bilder, die diesen Text illustrieren stammen aus meinen Skizzenbüchern:
Diese ähneln im Konzept einem Tagebuch:
Mit Ausnahme der ersten und der vierten verwendeten Skizze (Kugelschreiber) handelt es sich im Original um Bleistift - und Bunstiftskizzen.
Das Skizzenbuch selbst hat ungefähr A 5 - Format. Manchmal zeichne ich quer über eine Doppelseite.
Die Zeichnungen entstehen meistens dann, wenn ich "unterwegs" bin.